Es gibt Zeiten, in denen Worte nicht mehr verbinden, sondern trennen. In denen Sprache nicht aufschließt, sondern verschließt. Wir leben in solch einer Zeit.
Worte, die einst voller Leben, Wärme und Wahrheit waren – wie „Freiheit“, „Verantwortung“, „Heilung“ – scheinen heute müde, belastet, ideologisch aufgeladen. Begriffe, die in Talkshows, Kommentaren und Richtlinien wie festgeschmiedete Münzen kreisen, haben oft ihren inneren Glanz verloren. Sie klingen hart, starr, unnachgiebig – betoniert.
Die Schriftstellerin Marica Bodrožić nennt diese starren Begriffe „gusseiserne Worte“. Und sie ruft – inmitten einer Zeit lauter Rechthaber und digitaler Sprachschablonen – nach etwas, das wir fast vergessen haben: poetische Vernunft.
Das ist kein sentimentaler Rückzug ins Idyll, sondern ein aufrechter Gang in die Tiefe. Poetische Vernunft meint ein Denken, das fühlt. Ein Denken, das sich seiner Verantwortung bewusst ist. Das nicht nur analysiert, sondern durchdringt – mit Sprache, die trägt, heilt, wandelt. Nicht korrekt, sondern wahrhaftig.
Vielleicht ist es genau das, was uns in der aktuellen Sprachdebatte fehlt: Mut zur Wahrnehmung statt zur Perfektion. Mut, ein Wort nicht korrekt, sondern aufrichtig zu gebrauchen. Und den Menschen hinter dem Begriff wieder zu sehen.
Denn wo Begriffe zu Etiketten erstarren, wird der Mensch zum Objekt. Und wo alles sprachlich genormt ist, verliert das Leben seine Beweglichkeit. Die Würde, die Tiefe, die Wildheit.
Poetische Vernunft ist der stille Widerstand gegen diesen Verlust. Sie sucht nicht nach der nächsten Regel – sie sucht nach Resonanz. Nach lebendiger Sprache, die verbindet, statt zu polarisieren. Nach einer Wahrheit, die nicht spaltet, sondern heilt.
Vielleicht beginnt Heilung wirklich dort, wo wir bereit sind, nicht nur unsere Gedanken zu prüfen – sondern auch die Sprache, in der wir sie kleiden. Und wo wir beginnen, wieder mit Herz zu sprechen. Nicht um zu überzeugen. Sondern um zu berühren.
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